Gedenkkonzert für Walter Artho (1930 - 2017)

09.03.2018, 20:00

Walter Artho. Mitten unter uns

Während meines Studiums am Konservatorium Freiburg war mir Walter Artho bald einmal ein Begriff. Vorab als Klavierlehrer am Lehrerseminar, wo er so manchem späteren Klaviervirtuosen und Professor des Konservatoriums die Grundlagen des Klavierspiels beibrachte. Auch als Konzertpianist genoss er einen hervorragenden Ruf. Besonders gerühmt wurden seine Auftritte mit dem Klavierkonzert von Tschaikowsky. Leider habe ich ihn aber nie in seiner Rolle als Pianist erlebt.
Eines Tages, es war in den Siebziger Jahren, erfuhr die erstaunte Freiburger Organistenszene, Artho spiele in Tafers ein Orgelkonzert. Dieses Konzert besuchte ich – und war beeindruckt! Umso mehr, als er sich das Orgelspiel, wie man sich ehrfürchtig zuraunte, in recht fortgeschrittenem Alter autodidaktisch beigebracht hatte.

Es vergingen viele Jahre, in denen ich den Orgelvirtuosen aus Ependes etwas aus den Augen verlor. Aber in Deutschland las ich mehr als einmal seinen Namen auf Plakaten, die für Orgelkonzerte warben. Erst in den Neunzigern begegnete ich ihm wieder, als er ein Rezital in der Kirche Bethlehem Bern gab. Mein Kollege Ivo Zurkinden hatte ihn dazu eingeladen, und bei diesem Rezital bewies Artho seine ganze stupende Virtuosität. Diese stand ganz offensichtlich im Dienste einer grossartigen musikalischen Botschaft, in welche sich der Interpret mit Leib und Seele hineingab.
Mit einiger Regelmässigkeit hörte ich ihn dann in Konzerten, welche von Rudolf Paul Hunziker organisiert wurden, bald in Urtenen, bald in Jegenstorf oder Rapperswil. Das waren immer herausragende Musikerlebnisse, stets gefolgt von einem feuchtfröhlichen Nachspiel in einer Kneipe. Wobei der Virtuose, nota bene als Hauptgarant für einen höchst unterhaltsamen Abend, dann nur symbolisch an einem Gläschen Wein nippte, sich ansonsten aber an einem «Blöterliwasser» gütlich tat. Wein finde er «gruusig», aber daheim trinke er zum Essen trotzdem immer ein Gläschen, das gehöre einfach dazu, verriet uns der passionierte Koch einmal.

In seinen letzten Lebensjahren spielte Walter Artho mehr als einmal auch in der Stadt Bern, zu wiederholten Malen in der Kirche Bethlehem, ebenfalls in der Kirche der Christlichen Wissenschaft, eingeladen von Hans Peter Graf. Auch eine unvergessliche von ihm gestaltete Abendmusik im Berner Münster durften wir erleben. Arthos Konzerte gerieten immer zu ganz besonderen musikalischen Feuerwerken. Er hatte eine Menge halsbrecherisch schwieriger Werke in seinem Repertoire, neben Liszt und Reger besonders auch solche aus der Französischen Spätromantik und Moderne, und er interpretierte diese mit einem jugendlichen Elan und einer Leichtigkeit, die ihresgleichen suchte. Und alles auswendig! Dabei konnte er seine Qualitäten, die er sich als Konzertpianist in jungen Jahren erworben hatte, voll ausspielen.

Der über Achtzigjährige strahlte jedoch nicht nur beim Musizieren eine frappante Jugendlichkeit aus, sondern auch in seiner äusseren Erscheinung, und nicht zuletzt in seinem unkomplizierten Umgang mit uns jüngeren Kollegen. Ein durch und durch geselliger Mensch, ohne jeglichen Dünkel, ganz frei von Starallüren, der freilich als Zuhörer in seiner dezidierten Art recht strenge Urteile sprechen konnte, wenn das eine oder andere Konzert seinen Qualitätsansprüchen nicht zu genügen vermochte.

Legendär sind Arthos Geschichten, die er nach den Konzerten jeweils in der Kneipe zum Besten gab. Sie drehten sich alle um seine offenbar angeborenen Eigenschaften eines «zerstreuten Professors». Mal vergass er in Belgien nach einem Konzert seine Noten auf der Orgelempore (sie waren für ihn selber nicht wichtig, da er ja immer alles auswendig spielte, umso mehr aber für den Registranten) und stand dann am nächsten Tag mit leeren Händen auf dem nächsten Konzertpodium in Holland. Mal hatte er ein Konzert in Herzogenbuchsee zu spielen und registrierte am Nachmittag vor seinem Auftritt versehentlich die Orgel in Münchenbuchsee ein. Dann wieder wollte er mit dem Auto von Saarbrücken zu seinem nächsten Konzert nach Antwerpen fahren und landete stattdessen am Genfersee. Und so weiter, es gäbe Dutzende solcher Geschichten über ihn zu erzählen. Er ist eben auch als leicht kauziger Tip, um nicht zu sagen: als Original in die Geschichte unserer Organistenszene eingegangen.
In geselliger Berner Organistenrunde waren nach Arthos Konzerten auch oft die begnadeten Witzeerzähler Rudolf Paul Hunziker und Edwin Peter mit dabei. Jeden Witz, den die beiden zum Besten gaben, schrieb Artho, der sich wohl die kompliziertesten Partituren aber keine Witze merken konnte, mit leicht hektischer Nervosität (die ihm beim Konzertieren völlig abging) in seinem Notizbuch mit und unterbrach den Erzähler nicht selten mit dem verzweifelten Ausruf: «Nicht so schnell, ich bin noch nicht so weit mit Schreiben!»

Wir sind dankbar dafür, mit diesem feinen Kollegen befreundet gewesen zu sein, er war uns allen ein Vorbild. Darum ist es uns ein Bedürfnis und ein Vergnügen, zu seinem ersten Todestag dieses Gedenkkonzert zu spielen, an «seinem» Instrument, das er während seines halben Lebens in Gottesdiensten und Konzerten bespielte.
Walter Artho war als Musiker ein Vollblutkünstler. Und als Mensch ein Lebenskünstler. Wo immer wir uns in Sachen Orgel auch versammeln, Walter ist auch nach seinem Tod immer mit dabei, gleichsam «mitten unter uns».

Ort: Eglise St. Pierre, Fribourg

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